Blaupause für erfolgreiche StaRUG-Verfahren oder missbräuchliche Nutzung als Übernahmeinstrument?
Die Restrukturierung der Leoni AG mittels eines StaRUG-Verfahrens im Jahr 2023 wird verbreitet als Blaupause für ein erfolgreiches StaRUG-Verfahren angesehen und ist das bislang größte solche Verfahren seit Inkrafttreten des Unternehmensstabilisierungs- und ‑restrukturierungsgesetzes (StaRUG) im Januar 2021. Es handelt sich um die erste Restrukturierung einer börsennotierten Aktiengesellschaft unter Anwendung eines sog. „cross-class cram-down“ (Majorisierung einer dissentierenden Beteiligtengruppe durch gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung) im StaRUG-Verfahren mit einem Delisting. Die Restrukturierung von insgesamt ca. EUR 1,6 Mrd. Fremdverbindlichkeiten der Leoni AG umfasste u.a. ein De-Leveraging von über EUR 700 Mio. Das StaRUG-Verfahren der Leoni AG ist indes auch Kritik und Zweifeln ausgesetzt.
Eckpunkte des Restrukturierungsplans
Das dem Restrukturierungsplan von März 2023 zugrunde liegende Restrukturierungskonzept bezieht ausstehende Finanzverbindlichkeiten unter einem Konsortialdarlehensvertrag in Höhe von EUR 750 Mio. (RCF I-Kreditlinie), einem weiteren Konsortialdarlehensvertrag in Höhe von EUR 324 Mio. (RCF III-Kreditlinie) sowie insgesamt 62 Schuldscheindarlehen der Leoni AG in einer Gesamthöhe von EUR 343 Mio. ein. Zudem bezieht der Plan die Aktionäre der Leoni AG ein. Größter Einzelaktionär der Leoni AG vor Implementierung des Restrukturierungsplans war die L1-Beteiligungs GmbH, die mittelbar von Stefan Pierer gehalten wird, mit einer Beteiligungsquote von 16,53%. Die weiteren Aktienbestände befanden sich im Wesentlichen im Streubesitz von ca. 25.000 Aktionären.
Der Restrukturierungsplan sah unter anderem vor, dass zur Umsetzung der Teil-Entschuldung und Stärkung des Eigenkapitals der Leoni AG eine Kapitalherabsetzung auf null mit anschließender Kapitalerhöhung um nominal EUR 50 Mio. unter Bezugsrechtsausschluss erfolgt, wobei zur Zeichnung der neu ausgegebenen Aktien allein die L2-Beteiligungs GmbH, die mittelbar von Stefan Pierer gehalten wird, zugelassen wird. Der Gesamtausgabebetrag für sämtliche 50.000.000 neuen Aktien beträgt EUR 150 Mio. (einschließlich EUR 100 Mio. Bar-Agio). Die L2-Beteiligungs GmbH erbringt außerdem aus den von den planbetroffenen Finanzgläubigern an sie abgetretenen Forderungen in einem Gesamtvolumen von EUR 708 Mio. (im Plan definiert als „nicht nachhaltige Forderungen“) (entspricht circa 50% der Gesamtkreditzusagen dieser Finanzgläubiger) ein schuldrechtliches Sach-Agio. Dies, indem diese Forderungen der L2-Beteiligungs GmbH in Höhe von bis zu EUR 708 Mio. von dieser erlassen werden. Als Gegenleistung für die Abtretung der Forderungen wird den planbetroffenen Finanzgläubigern, die sich zur Teilnahme an einer Wertaufholungsmöglichkeit entscheiden, von der L2-Beteiligungs GmbH außerhalb des Restrukturierungsplans ein Wertaufholungsinstrument in Form von Genussrechtskapital eingeräumt. Hinsichtlich der im Plan definierten „nachhaltigen Forderungen“ ist unter dem Plan im Wesentlichen eine Prolongation nebst Anpassung der Finanzierungskonditionen und die Erhöhung des Zinsniveaus vorgesehen.
Nach Durchführung der im Restrukturierungsplan vorgesehen Kapitalmaßnahmen ist die L2-Beteiligungs GmbH Alleinaktionärin der Leoni AG. Daneben scheiden sämtliche planbetroffenen Aktionäre vollständig als Aktionäre der Leoni AG aus. Die Kapitalherabsetzung auf null führt zu einem Wegfall der Börsennotierung der Aktien der Leoni AG an der Börse Frankfurt („kaltes Delisting“). Laut Zusammenfassung des Restrukturierungsplans beläuft sich die Erlöserwartung beziehungsweise Überschussherausgabe für die planbetroffenen Aktionäre im nächstbesten Alternativszenario auf 0% (Erlöserwartung bzw. Überschussherausgabe gemäß § 199 Satz 2 InsO im Insolvenzverfahren). Im Szenario „mit Restrukturierungsplan“ sei keine schlechtere Befriedigungsquote zu erwarten; diese belaufe sich im Planszenario ebenfalls auf eine Erlöserwartung von jeweils 0%.
Verfahrensgang und Bestätigung durch das AG Nürnberg (Restrukturierungsgericht)
Im Erörterungs- und Abstimmungstermin vom 31. Mai 2023 haben die gebildeten Gruppen (§ 9 StaRUG) über den Restrukturierungsplan der Leoni AG dergestalt abgestimmt, dass in Gruppe 1 (planbetroffene Finanzgläubiger als einfache Restrukturierungsgläubiger) der Plan mit einer Mehrheit von 95,59% angenommen wurde, in Gruppe 2 (L1-Beteiligungs GmbH als Inhaber von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten) der Plan einstimmig angenommen wurde und in Gruppe 3 (allen übrigen Aktionären der Leoni AG als Inhaber von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten) die erforderliche Mehrheit von 75% des Aktienkapitals nicht erreicht wurde. Ein Minderheitenschutzantrag wurde durch einen planbetroffenen Aktionär gestellt und lediglich mit der Aktionärsstellung als solcher begründet. Anträge auf Planversagung wurden durch mehrere Aktionäre gestellt und im Wesentlichen mit einer Ungleichbehandlung der Aktionärsgruppen hinsichtlich der versagten Bezugsrechtsmöglichkeiten nach dem Kapitalschnitt und einer Schlechterstellung der Gruppe 3 begründet.
Das AG Nürnberg (Restrukturierungsgericht) hat den Restrukturierungsplan mit Beschluss vom 21. Juni 2023 (AG Nürnberg, Az. RES 397/23, NZI 2023, 881) bestätigt. Dabei hat das AG Nürnberg zunächst ausgeführt, dass die Formvorschriften des StaRUG eingehalten worden seien. Insbesondere sei der Vorstand der Leoni AG zur Anzeige des Restrukturierungsvorhabens (§ 31 StaRUG) und Antragstellung (§ 45 StaRUG) vertretungsberechtigt und nicht verpflichtet gewesen, zuvor diesbezüglich die Zustimmung der Hauptversammlung einzuholen. Das AG Nürnberg führt zu dieser – insbesondere auch für das Erfordernis eines Gesellschafterbeschlusses bei der GmbH – streitigen Frage unter anderem aus, dass es nach ganz überwiegender Ansicht zur Antragstellung nach dem StaRUG der vorherigen Zustimmung der Hauptversammlung nicht bedürfe. Dies gelte jedenfalls, wenn das Vorhaben im Hinblick auf ein Insolvenzverfahren alternativlos ist (wie ausreichend glaubhaft gemacht worden sei). Zudem bestätigte das AG Nürnberg die Zulässigkeit der im Plan vorgesehenen Kapitalmaßnahmen der Kapitalherabsetzung auf null, anschließende Kapitalerhöhung und der Ausschluss des Bezugsrechtes für die bisherigen Aktionäre.
Insbesondere sah das AG Nürnberg die Voraussetzungen für einen wirksamen sog. „cross-class cram-down“ als gegeben an: Obwohl bei der Abstimmung in Gruppe 3 (alle Aktionäre außer L1-Beteiligungs GmbH, s.o.) die zur Annahme des Plans erforderliche Mehrheit nicht erreicht wurde, sei der Plan dennoch angenommen worden, da die Zustimmung dieser Gruppe gemäß §§ 26-28 StaRUG i.V.m. § 45 Abs. 4 S. 1 StaRUG als erteilt gilt. Diesbezüglich schließt sich das AG Nürnberg im Beschluss vom 21. Juni 2023 zitierten Gutachten an, wonach u.a. die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 StaRUG und des § 27 StaRUG eingehalten worden seien. Dazu zählt neben weiteren Voraussetzungen, dass die Zustimmung einer Gruppe gemäß § 26 Abs. 1 StaRUG als erteilt gilt, wenn (1.) die Mitglieder dieser Gruppe durch den Restrukturierungsplan voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden als sie ohne einen Plan stünden (Schlechterstellungsverbot), (2.) die Mitglieder dieser Gruppe angemessen an dem wirtschaftlichen Wert beteiligt werden, der auf der Grundlage des Plans den Planbetroffenen zufließen soll (Planwert), und (3.) die Mehrheit der abstimmenden Gruppen dem Plan mit den erforderlichen Mehrheiten zugestimmt hat. Einen Minderheitenschutzantrag eines Aktionärs gemäß § 64 StaRUG sah das AG Nürnberg mangels Glaubhaftmachung einer Schlechterstellung als unzulässig und zudem als unbegründet an, und verneinte zudem das Vorliegen von Versagungsgründen (§ 63 StaRUG).
Mit Beschluss vom 12. Juli 2023 (AG Nürnberg, Az. RES 397/23, NZI 2023, 1014) wies das AG Nürnberg (Restrukturierungsgericht) einen Antrag von 59 planbetroffenen Aktionären der Leoni AG auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde gegen den Restrukturierungsplan nach § 66 Abs. 4 StaRUG als unbegründet zurück. Gemäß § 66 Abs. 4 StaRUG ordnet das Gericht auf Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung der Beschwerde an, wenn der Vollzug des Restrukturierungsplans mit schwerwiegenden, insbesondere nicht rückgängig zu machenden Nachteilen für den Beschwerdeführer einhergeht, die außer Verhältnis zu den Vorteilen des sofortigen Planvollzugs stehen.
Zur Begründung der Zurückweisung des Antrags führte das AG Nürnberg unter anderem an, dass die Voraussetzungen des § 66 Abs. 4 StaRUG für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde gegen einen Restrukturierungsplan restriktiv auszulegen seien und innerhalb der Beschwerdefrist keine Schlechterstellung im Sinne des § 66 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG glaubhaft gemacht worden sei, da von keinen Beschwerdeführer zu ein Alternativszenario vorgetragen wurde, nach dem diese eine bessere Befriedigung erhalten würden als durch den Plan. Der Antrag scheitere zudem am unzureichenden Vortrag zu etwaigen schwerwiegenden, nicht wiedergutzumachenden Nachteilen. Insofern erschöpfe sich der Vortrag der antragstellenden Aktionäre über die bloße Wiedergabe des Gesetzestextes hinaus im Verlust der Mitgliedschaftsrechte. Nach der Begründung des AG Nürnberg wäre insoweit darüber hinaus vorzutragen gewesen, welchen konkreten Nachteil jeder einzelne Aktionär durch den Verlust seines Mitgliedschaftsrechtes erleiden würde und aus welchem Grunde ein solcher Nachteil nicht durch einen Schadensersatzanspruch ausgleichbar wäre. Zu diesen entscheidenden Punkten sei im Antrag nichts ausgeführt, so dass es damit bei der Abwägung zwischen dem abstrakten Verlust der Mitgliedschaftsrechte von 59 Aktionären und der andernfalls anstehenden Insolvenz der Schuldnerin mit dem drohenden Verlust von ca. 100.000 Arbeitsplätzen bzw. dem Interesse der Schuldnerin an der Fortführung des Unternehmens verbleibe – eine Abwägung, die das AG Nürnberg im Ergebnis nicht im Sinne der 59 Aktionären vornahm.
Nachdem das Landgericht Nürnberg-Fürth mit Entscheidung vom 17. Juli 2023 die Beschwerden von Gläubigern gegen den Bestätigungsbeschluss des Amtsgericht Nürnberg (Restrukturierungsgericht) als unzulässig verworfen und die Zulassung der Rechtsbeschwerde abgelehnt hatte, war das Beschwerdeverfahren abgeschlossen und der Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 21. Juni 2023 rechtskräftig.
Weitere prozessuale Gegenwehr planbetroffener Aktionäre
Zur Verteidigung gegen den kompensationslosen Verlust ihrer Mitgliedschaftsrechte durch die Implementierung des Restrukturierungsplans hatten einige planbetroffene Aktionäre der Leoni AG im September 2023 Verfassungsbeschwerde eingereicht. Dies zur Klärung der Frage, ob Minderheitsaktionäre im Rahmen des StaRUG-Verfahrens ausreichend Gehör in den juristischen Instanzen gefunden hatten und ob die Regelungen des StaRUG gegen die Regeln zum Eigentumsschutz gemäß Artikel 14 des Grundgesetzes verstoßen. Das Bundesverfassungsgericht lehnte die Verfassungsbeschwerde ohne Begründung ab. Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) bereitet im Namen planbetroffener, „enteigneter“ Aktionäre Schadensersatzklagen gegen den damaligen Vorstand und Aufsichtsrat der Leoni AG vor, deren Ausgang abzuwarten ist.
Kritik am StaRUG-Verfahren der Leoni AG - StaRUG-Verfahren als Übernahmeinstrument?
Das StaRUG-Verfahren der Leoni AG wird verbreitet als Vorbild für ein erfolgreiches StaRUG-Verfahren angesehen, insbesondere hinsichtlich der Kombination aus Kapitalschnitt (Kapitalherabsetzung auf Null mit nachfolgender Kapitalerhöhung) unter Bezugsrechtsausschluss zugunsten eines Aktionärs, cross-class cram-down hinsichtlich planbetroffener Aktionäre, Implementierung bei einer börsennotierten AG und Delisting. Die Verfahrensvariante, bei der im Restrukturierungsplan zunächst eine Kapitalherabsetzung auf null durchgeführt und anschließend eine Kapitalerhöhung zugunsten nur eines (Haupt-)Aktionärs unter Ausschluss aller anderen Aktionäre durchgeführt wird, wurde – neben Leoni AG – seither auch in dem StaRUG-Verfahren der Softline AG genutzt (anders der Restrukturierungsplan der Spark Networks SE, demzufolge einzig eine von Finanzgläubigern gehaltene Gesellschaft zur Zeichnung der neuen Aktien bei der Kapitalerhöhung nach einem Kapitalschnitt berechtigt ist).
Diese Praxis erfährt indes Kritik u.a. dergestalt, dass das StaRUG-Verfahren nicht als verdecktes Übernahmeinstrument zugunsten eines bestimmten Aktionärs missbraucht werden dürfe und bestimmte Elemente des StaRUG-Verfahrens der Leoni AG unzulässig seien. So wird die Auffassung vertreten, dass auch in Restrukturierungsplänen im Rahmen von Kapitalmaßnahmen ein Bezugsrecht für alle Aktionäre nach § 186 AktG bestehe und dieses zwar gemäß § 7 Abs. 4 S. 3 StaRUG ausdrücklich ausgeschlossen werden könne. Der Ausschluss des Bezugsrechts bei Kapitalerhöhungen im Restrukturierungsplan setze jedoch stets einen wichtigen Grund voraus, wofür es erforderlich sei, dass der Bezugsrechtsausschluss einem Zweck dient, der im Interesse der AG liegt, zur Erreichung des beabsichtigten Zwecks geeignet und überdies erforderlich sowie verhältnismäßig ist (sachliche Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses). Es wird vereinzelt die Auffassung vertreten, dass die einseitige Einräumung eines Bezugsrechts in Restrukturierungsplänen für nur einen Aktionär unzulässig sei. Dies widerspreche dem Regelungsgedanken von § 186 AktG und den europäischen Vorgaben für das StaRUG, da die für den präventiven Restrukturierungsrahmen vorgesehenen Ausnahmen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre, der in Artikel 85 der Richtlinie (EU) 2017/1132 normiert ist, unberührt ließen. Wird eine einseitige Einräumung eines Bezugsrechts für nur einen Aktionär dennoch in einen Restrukturierungsplan aufgenommen, könne dessen Bestätigung nach § 63 Abs. 5 StaRUG zu versagen sein und den Aktionären könne ein dahingehender Unterlassungsanspruch und/oder ein Schadensersatzanspruch gegen die Vorstandsmitglieder zustehen. Zudem wird vereinzelt die Frage aufgeworfen, ob bei einer einseitigen Kapitalerhöhung zugunsten nur eines Aktionärs im Rahmen eines Restrukturierungsplans ein Pflichtangebot nach § 35 WpÜG abzugeben ist.
Fazit
Das StaRUG-Verfahren der Leoni AG hat die Nutzung des StaRUG-Verfahrens als Sanierungstool in der deutschen Restrukturierungspraxis befördert. Es verbleiben jedoch ungeklärte Rechts- bzw. Detailfragen – und damit verbunden rechtliche Risiken – hinsichtlich der Implementierung von Restrukturierungsplänen nach dem Vorbild der Leoni AG. Dies gilt u.a. (aber nicht darauf beschränkt) hinsichtlich der Frage, inwieweit die Rechtsprechung künftig der Argumentation folgen könnte, dass die einseitige Einräumung eines Bezugsrechts in Restrukturierungsplänen für nur einen Aktionär unzulässig sei, und den ausgeschlossenen Aktionären im Rahmen der gerichtlichen Bestätigung und/oder über Unterlassungsansprüche oder Schadensersatzansprüche Rechtsschutz zu gewähren ist.