Der Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg („EuGH“) hat in einem Urteil vom 17.11.2022 zu den Ersuchen zur Vorabentscheidung von Gerichten aus Deutschland (Aktenzeichen C- 147/20) und Dänemark (Aktenzeichen C- 224/20) bezüglich Parallelimport von Arzneimitteln entschieden, dass ein Neuverpacken von Arzneimitteln durch Parallelimporteure auch bei Berücksichtigung der EU-Arzneimittelfälschungsrichtlinie grundsätzlich Markenrechte des Originalherstellers verletzt und dass der Originalhersteller seine Markenrechte geltend machen kann. In allen Verfahren geht es um die Beurteilung des Spannungsfeldes zwischen Markenrecht einerseits und Arzneimittelrecht, insbesondere im Lichte des Schutzes vor Arzneimittelfälschungen, andererseits. Der Pharmakonzern Novartis klagte in den Verfahren gegen den dänischen Parallelimporteur Abacus in Deutschland und Dänemark. Mit den Urteilen stärkt der EuGH die Markenrechte von Arzneimittelherstellern und folgt der Argumentation von Novartis.
Hintergrund:
Parallelimporteure erwerben Arzneimittel in Ländern der EU mit geringerem Preisniveau und verkaufen diese in Ländern der EU mit höherem Preisniveau wie z.B. Deutschland, Dänemark und Schweden. Dazu müssen die Parallelimporteure die Gebrauchsinformationen und die Arzneimittelpackungen jeweils so ändern, dass sie in der Sprache des Bestimmungslandes gefasst sind. Parallelimporteure bevorzugen seit Jahren aus verschiedenen Gründen nicht die Originalpackungen mit zusätzlichen Etiketten zu versehen, sondern komplett neue Verpackungen zu nutzen. Das Neuverpacken und Aufbringen von Marken des Originalherstellers durch den Parallelimporteure stellt nach ständiger Rechtsprechung des EuGH und der nationalen Gerichte eine Markenverletzung dar, da das Aufbringen einer Marke nur dem Markeninhaber, und keinem Dritten erlaubt sein soll; nur in definierten Ausnahmefällen soll ein Neuverpacken markenrechtlich zulässig sein.
Mit Geltung der EU-Arzneimittelfälschungsrichtlinie müssen sowohl Originalhersteller als auch Händler, die Packungen ändern, weitere Elemente zum Schutz vor Manipulation aufbringen. Diese zusätzlichen gesetzlichen Anforderungen haben Parallelimporteure als Argument genutzt, um fortan grundsätzlich Arzneimittel neuverpacken zu dürfen, um nicht mehr Originalverpackungen umetikettieren zu müssen. Einige Regierungen von EU-Mitgliedstaaten haben das Neuverpacken ausdrücklich geboten und sich gegen das Umetikettieren von Originalverpackungen ausgesprochen. Die Europäische Kommission hat ein Neuverpacken immer dann für den richtigen Weg gesehen, wenn ein – notwendiges - Öffnen der Originalverpackung später erkennbar bleiben würde. Hiergegen richtet sich Novartis in Verfahren gegen den Parallelhändler Abacus in Deutschland und Dänemark. Novartis verteidigt die eigenen Markenrechte und verweist zusätzlich auf das besonders hohe Schutzniveau von Originalverpackungen für den Patienten.
Mit den Urteilen vom 17.11.2022 folgt der EuGH den Argumenten von Novartis und der Ansicht des Generalanwalts, dass ein Neuverpacken von Arzneimitteln durch Parallelimporteure auch bei Berücksichtigung der Arzneimittelfälschungsrichtlinie grundsätzlich Markenrechte des Originalherstellers verletzt und dass der Originalhersteller seine Markenrechte geltend machen kann. Entgegengesetzte Auffassungen von Regierungen einzelner EU-Mitgliedstaaten sind unbeachtlich und stehen der Durchsetzung der Markenrechte nicht entgegen. Nur in vom EuGH definierten Ausnahmefällen, für die der Parallelhändler die Beweislast trägt, ist ein Neuverpacken zulässig.
Mit den Urteilen stärkt der EuGH die Markenrechte von Arzneimittelherstellern und folgt der Argumentation von Novartis. Der EuGH weist mit den Urteilen auch die Auffassungen einzelner Regierungen von Mitgliedsstaaten zurück und schränkt die bisherige Haltung der Europäischen Kommission ein.
Das King & Spalding-Team, das Novartis in dieser Sache vertreten hat, umfasste Frankfurter Partner Ulf Grundmann und Counsel Elisabeth Kohoutek.