Erneute Lockerung der Insolvenzantragspflicht durch das SanInsKG
Mit dem „Gesetz zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen“ (kurz: Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz – SanInsKG), welches am 9. November 2022 in Kraft getreten ist, erfolgte als Reaktion auf die derzeitigen Entwicklungen und Verhältnisse auf den Energie- und Rohstoffmärkten eine erneute Anpassung des Sanierungs- und Insolvenzrechts. Die Änderungen sollen im Kern gesunden Unternehmen helfen, die aufgrund der aktuellen Unwägbarkeiten nicht sicher planen können, insbesondere indem die Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung abgemildert wird.
Das SanInsKG ist durch Umbenennung und Änderung des „COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes (COVInsAG)“ vom 1. März 2020 aus diesem hervorgegangen. Kern des SanInsKG ist eine zeitlich befristete Änderung des Insolvenzeröffnungsgrundes der Überschuldung gemäß § 19 InsO. Darüber hinaus sieht das SanInsKG eine Verkürzung der Planungszeiträume für Eigenverwaltungs- und Restrukturierungs-planungen gemäß § 270 a Abs. 1 Nr. 1 InsO sowie § 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG von sechs auf vier Monate vor, wodurch die Umsetzung von Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung und Stabilisierungs- und Restrukturierungsmaßnahmen nach dem StaRUG erleichtert wird.
Bereits das COVInsAG sah – mehrfach modifizierte und dann aufgehobene – Regelungen zur Lockerung der Insolvenzantragspflicht vor, die nunmehr Altfälle betreffen und unverändert im SanInsKG fortbestehen. Für die Insolvenzantragsgründe der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit galt bis zum Inkrafttreten des SanInsKG wieder dieselbe Rechtslage wie vor dem Inkrafttreten des COVInsAG am 1. März 2020.
Der in der Praxis relevanteste (zwingende) Insolvenzantragsgrund der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 InsO hat keine Änderungen durch das SanInsKG erfahren. Hier bleibt es daher bei der bisherigen – strikten – Gesetzeslage gemäß § 15a Abs. 1 S. 2 InsO, dass ab Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit unverzüglich, spätestens aber innerhalb von drei Wochen Insolvenzantrag zu stellen ist. Auch der Insolvenzantragsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO bleibt vom SanInsKG unberührt.
Temporäre Verkürzung der Zeiträume für die Fortführungsprognose auf vier Monate
Hinsichtlich des Insolvenzantragsgrundes der Überschuldung wurde der Zeitraum für die Fortführungsprognose mit dem SanInsKG temporär auf vier Monate abgesenkt. Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich (§ 19 Abs. 2 S. 1 InsO). Mit dem SanInsKG wurde die Frist für die demnach maßgebliche Fortführungsprognose von zwölf Monaten vorübergehend auf vier Monate reduziert. Nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG ist im Zeitraum vom 9. November 2022 bis zum 31. Dezember 2023 die kürzere 4-Monatsfrist maßgeblich und dies auch dann, wenn vor dem 9. November 2022 eine Überschuldung vorlag. Der Eintritt der Überschuldung vor dem 9. November 2022 hindert jedoch dann die Anwendung der kürzeren Frist, wenn bis dahin die Insolvenzantragsfrist, die für diesen Zeitraum galt (sechs Wochen, § 15a Abs. 1 Nr. 2 InsO), abgelaufen war. Das betrifft alle Konstellationen, bei denen bis zum 27. September 2022 die Überschuldung eintrat und die Sechs-Wochen-Frist dann am 8. November 2022 ablief.
Die Verkürzung des maßgeblichen Zeitraums für die Fortführungsprognose erfolgte mit Blick auf die derzeit schwierige finanzielle Situation vieler Unternehmen sowie der für Unternehmen momentan bestehenden Erschwernisse bei einer vorausschauenden Unternehmensplanung. In der Begründung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zum SanInsKG wird insoweit angeführt, dass sich derartige Fortführungsprognosen „angesichts der derzeitigen Preisvolatilitäten und der auf absehbare Zeit weiterhin bestehenden Unsicherheiten über Art, Ausmaß und Dauer des eingetretenen Krisenzustands oft nur auf unsichere Annahmen stützen [lassen]“ (BT-Drs. 20/4087, S. 7). Die Verkürzung des Zeitraums der Fortführungsprognose mit dem SanInsKG soll verhindern, dass Geschäftsleiter sich zur Vermeidung der daraus resultierenden haftungs- und strafrechtlichen Risiken vorschnell zur Insolvenzantragstellung gezwungen sehen, etwa wenn sie zwar davon ausgingen, dass das von ihnen geführte Unternehmen zumindest in den kommenden vier Monaten mit überwiegender Wahrscheinlichkeit durchfinanziert ist, aber nicht darüber hinaus für zwölf Monate.
Der durch das SanInsKG auf 4 Monate verkürzte Prognosezeitraum gilt unabhängig davon, ob die Überschuldung durch die aktuelle Krise auf den Energie- und Rohstoffmärkten verursacht wurde oder auf davon völlig unabhängige Ursachen zurückzuführen ist (anders als bei § 4 COVInsAG bezüglich der COVID-19-Pandemie), d.h. die Gesetzesänderung kommt allen Unternehmen zugute, auch wenn teilweise andere Krisenursachen vorliegen. Die Gefahr, dass davon auch unrentable Unternehmen profitieren und dies zu zeitlichen Verschiebungen von Insolvenzen und einer drohenden Insolvenzwelle beiträgt, relativiert sich jedoch durch die unveränderte Insolvenzantragspflicht bei Zahlungsunfähigkeit.
Indem der Zeitraum für die Fortführungsprognose auf vier Monate verkürzt wird, verlängert sich der Zeitraum, in dem ein Unternehmen drohend zahlungsunfähig (bei der drohenden Zahlungsunfähigkeit beträgt der Prognosezeitraum 24 Monate, § 18 Abs. 2 S. 2 InsO) sein kann, ohne zugleich überschuldet zu sein, um acht Monate (Differenz der von 12 Monaten auf 4 Monate verkürzten Fortführungsprognose bei der Überschuldung). Dieser geringere Überschneidungsbereich zwischen drohender Zahlungsunfähigkeit und Fortführungsprognose bei der Überschuldung bewirkt, dass eine Sanierung auf der Grundlage des StaRUG, die nur bei drohender Zahlungsunfähigkeit eingeleitet werden kann, grundsätzlich einen weiteren zeitlichen Anwendungsbereich hat, d.h. im Grundsatz Instrumente des StaRUG bei planerischen Liquiditätslücken in den Monaten 5 - 24 in Anspruch genommen werden können.
Ende der Geltungsdauer des verkürzten Prognosezeitraums
Hinsichtlich des Auslaufen der Geltungsdauer des mit dem SanInsKG verkürzten Zeitraums für die Fortführungsprognose am 31. Dezember 2023 ergeben sich besondere Fragestellungen und damit verbundene Haftungsgefahren für Geschäftsleiter. Hierzu wird in der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses zum SanInsKG (BT-Drs. 20/4087, S. 8) ausgeführt: „Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Regelungen schon vor dem Ablauf der Geltungsdauer einen Teil ihrer praktischen Wirksamkeit einbüßen können. Denn wenn für ein Unternehmen weniger als vier Monate vor dem Ablauf der Geltungsdauer feststeht, dass es unmittelbar nach dem Ablauf dieser Geltungsdauer unter dem dann wieder maßgeblichen Überschuldungsbegriff des § 19 InsO überschuldet sein wird, kann dieser Befund auch für die unter § 4 II zu erstellende Fortführungsprognose relevant sein.“
Dies ist offenbar ein Hinweis darauf, dass zwar laut dem Wortlaut des Gesetzes bis einschließlich 31. Dezember 2023 der Prognosezeitraum von vier Monaten relevant sein müsste (d.h. es wären bei Planungen, die vom 1. September 2023 bis zum 31. Dezember 2023 aufgestellt werden, die Zeiträume vom 1. Januar 2024 bis zum 30. April 2024 anzusehen), jedoch dort dann schon wieder der Prognosezeitraum von zwölf Monaten maßgeblich ist. Ein Geschäftsleiter kann daher ab dem 1. September 2023 verpflichtet sein, in seine Prognose von vier Monaten auch schon einen – auf Basis des dann wieder geltenden Prognosezeitraum von zwölf Monaten wahrscheinlichen – Insolvenzantrag ab dem 1. Januar 2024 einstellen. Dies gilt insbesondere angesichts der haftungs- und strafrechtlichen Risiken für Geschäftsleiter im Fall einer verspäteten Insolvenzantragstellung. Für die Praxis ist daher davon auszugehen, dass bereits ab dem 1. September 2023 schon wieder der Prognosezeitraum von zwölf Monaten maßgeblich ist. Insoweit ist ein Monitoring von diesbezüglichen Initiativen des Gesetzgebers empfehlenswert – in Betracht kommt eine Verlängerung des Zeitpunktes, in dem die auf vier Monate verkürzte Fortführungsprognose gilt, oder auch eine dauerhaft auf vier Monate verkürzte Fortführungsprognose.
Verlängerte Höchstfrist für die Insolvenzantragstellung wegen Überschuldung
Mit dem SanInsKG wurde zudem die Höchstfrist zur Stellung eines Insolvenzantrags wegen Überschuldung nach § 15a Abs. 1 S. 2 InsO temporär bis zum 31. Dezember 2023 von sechs auf acht Wochen verlängert, die zuvor bereits durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) mit Wirkung ab dem 1. Januar 2021 von drei auf sechs Wochen verlängert worden war. Damit „soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die aktuelle Situation und die mit ihr einhergehenden Planungsunsicherheiten dazu führen können, dass für Sanierungsbemühungen sowie die Vorbereitung einer Sanierung im präventiven Restrukturierungsrahmen oder auf der Grundlage eines Eigenverwaltungsverfahrens mehr Zeit erforderlich sein kann“ (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum SanInsKG, BT-Drs. 20/4087, S. 9). Sofern sich diese Begründung auf die Sanierung im präventiven Sanierungsrahmen des StaRUG bezieht, wirft dies jedoch die Frage auf, ob eine Überschuldung erst beseitigt werden muss, weil eine Sanierung im StaRUG-Verfahren nicht eingeleitet werden kann, solange eine Überschuldung der betreffenden Gesellschaft vorliegt.
Die verlängerte Antragsfrist bei Überschuldung kann etwas Erleichterung verschaffen. Die Antragsfristen zur Stellung eines Insolvenzantrags von drei Wochen bei Zahlungsunfähigkeit und nunmehr acht Wochen bei Überschuldung sind jedoch als Höchstfristen ausgestaltet und dürfen nur dann ausgenutzt werden, wenn ein sorgfältiger Geschäftsleiter im Rahmen eines Sanierungsplans bei objektiv nachprüfbarer Abwägung zum Ergebnis kommt, dass das Zuwarten mit der Antragstellung zur Umsetzung des Sanierungsplans im Interesse der Gläubigergesamtheit ist. Wenn ersichtlich ist, dass Sanierungsbemühungen keine Erfolgsaussichten (mehr) haben, ist der Insolvenzantrag umgehend zu stellen.